Wie von Tim Schmidt schon zusammengefasst, gab’s gestern bei der meines Erachtens übrigens sehr gelungenen Podcast-University-Tagung Diskussionen um die korrekte Verwendung des Begriffs »Podcast«. Darf man eine schnöde Vorlesungsaufzeichnung, die per RSS-Feed abonniert werden kann, überhaupt Podcast nennen?
Die Zielrichtung der vor allem von Ralph Müller vorgetragenen Kritik war klar: Spannend und interessant werde das Medium für’s E-Learning erst, wenn Inhalte an die Hör- und Sehgewohnten der Podcast-Konsumenten angepasst werden. Also: Kürzere Episoden, jedenfalls kürzer als 90 Minuten. Weniger bleierner Ernst, mehr Beiläufigkeit. Vielleicht auch Geräusche, O-Töne, Jingles, Wiedererkennungswert. All das bieten mitgeschnittene Vorlesungen nur im Ausnahmefall, weil sie eben für das Publikum vor Ort gedacht und gemacht wurden und nur als Abfallprodukt zu Podcasts mutiert sind. Wer nun den Eindruck vermittele: »Du, E-Learning-interessierter aber aufwandsminimierender Dozent, du hast alles getan, was in Sachen Podcast getan werden kann, wenn du einfach ein Tonband mitlaufen lässt.« – der vergebe Chancen für interessante neue Lehr- und Lernformen.
So gewendet lässt sich das Argument kaum von der Hand weisen und das aufgeregte Flattern um echte Podcasts und langweilige Sachen, die im widernatürlich angeeigneten Podcast-Gewand daherkommen, verliert seine Spannung. Aber doch ein Wort zum Thema Deutungshohheit. Das Phänomen, sei es nun die Frage nach »echten Bloggern« oder »echten Podcastern« ist ja keineswegs neu.
Bei Wikis ist die Diskussion schon ausgestanden. Ursprünglich kamen die nämlich mit eigener Ideologie daher: Völlig offene Umgebung, jeder darf alles, freie Information, freie Meinungsäußerung. Heute kräht kein Hahn mehr, wenn Wiki-Software z.B. für klassische CMS-Projekte eingesetzt wird, hinter Passwortbarrieren oder in einer Lernplattform versteckt ist. Oder das Geschrei im Usenet, als dank AOL & Co. plötzlich ganz normale Menschen mitreden durften, die sich nicht an die Nettiquette hielten und den Hacker-Jargon-Geheimcode nicht kannten. Oder als Inline-Skates zum Massenartikel wurden und es plötzlich Inline-Skater gab, die die Szene-Codes weder kannten noch wichtig fanden. Meinetwegen auch die 89er-Bürgerrechtsbewegung in der DDR, von deren Idealen und Forderungen beim Übergang zur Massenbewegung nur Teile adoptiert wurden.
Adoptieren ist das Stichwort: Neue Entwicklungen, insbesondere neue Web-Technologien, werden oft zunächst von »early adaptors« in Form einer Subkultur entwickelt, gehegt und gepflegt. Das Gefühl anders zu sein und sich abzugrenzen gehört wesentlich dazu. Wenn die Masse hinterherkommt, bleibt das Gefühl auf der Strecke und der »early adaptor« fühlt sich verraten.
Letztendlich, um verkürzt mit Wittgenstein zu sprechen, ist die Bedeutung eines Wortes sein Gebrauch. Wer also wissen will, was das Wort Podcast bedeutet, schaue sich an, wie das Wort Podcast gebraucht wird. Das wandelt sich naturgemäß, weil der liebe Podcast-Gott eben nicht nur wenige Auserwählte an der großen Ideenschau hat teilnehmen lassen. Und bevor wir à la »Apfel-Sellerie-Salat nach Art des Waldorf-Salates« bei »Multimedia-Inhalten mit podcast-artigem Verbreitungsmechanismus« landen, ist es mir lieber, die echten, ursprünglichen Podcasts irgendwann mit einem neuen Begriff zu belegen und wie bei den Wikis den Begriff »Podcast« für den – zugegeben kleinen – gemeinsamen technischen Nenner zu verwenden.
Adoptieren ist ein interessanter Vorschlag (zumindest im deutschen Sprachgebrauch). Das verwaiste Mündel Podcast auf der Suche nach einem neuen Vormund?
Mit „adaptieren“ wäre ich sehr einverstanden – also umarbeiten, wandeln, in dem Vorhandenes produktiv aufgenommen und integriert wird. Aber das ist etwas, was nur langsam vorankommt und das sich leicht im Institutionellen durch das, „wir machen das, was wir immer schon gemacht haben nur mit anderen Mitteln und seien es RSS-Feeds“, leicht verstellen lässt (man denke an die Innovationskraft von eLearning=Download von PDF-Dokumenten) – für diese Erkenntnis muss man nun auch nicht unbedingt ein echter Kerl sein (nettes Kompliment übrigens:).
Vielleicht kommt es aber im Sinne der Adoption doch noch zu einem guten Ende, denn früher diente die Adoption eher dem Zweck, seinen Hof vererben oder Familiennamen weitergeben zu können, wenn man selbst kinderlos war. (So klärt uns zumindest die Informationsplattform des Bundes bund.de zum Stichwort Adoption auf.)