PeterLicht live: Super sagen!

PeterLicht in der Lagerhalle, Osnabrück, 26.10.2008

Der gute alte Heinz-Rudolf Kunze, Gott hab ihn selig, der sich selbst noch  als Liedermacher und Weltverbesserer verstand, hat mit seinem 1984er Live-Album „Die Städte sehen aus wie schlafende Hunde“ eine grandiose Form des Konzertes aus gesungenen und gesprochenen Texten dokumentiert. Das war bevor er glaubte, Rockstar zu sein, albern wurde und Osnabrück den Rücken kehrte, um im weltstädtischen Hannover zu residieren. Das fügt sich hervorragend zu meiner ausgeprägten Hannover-Aversion. Oder ist das umgekehrt?

Die „schlafenden Hunde“ jedenfalls schaffen eine spannungsvolle Balance aus Gesungenem und Gesprochen, die die späteren „literarischen Programme“ nicht mehr aufzubieten vermochten. Damals klang Protest noch nach Brokdorf und Che und war eine todernste Sache. Wobei Kunze immerhin letzteres sympathisch aufzuweichen wusste. Ein schönes Beispiel sind seine „Variationen über einen Satz des Bundesinnenministers aus dem Monat Juli des Jahres 1983„.

Und damit sind wir endlich bei PeterLicht, der heute abend die Lagerhalle rockte. Nun gut. Nicht direkt rockte. Man sollte eher sagen: mittel rockte. Vielleicht auch nicht direkt mittel. Eher so am unteren Ende von Rocken und am oberen Ende von auf Stühlen enthusiasmieren. Ja, tatsächlich. Ein Sitzkonzert. Es stand ja schließlich auch „freie Platzwahl“ auf der Karte.

Statt lyrisch gewandeter, scharfzüngig und aufrichtig entrüsteteter Polemik, wie sie 1984 en vogue war, setzt der heutige Protestsänger auf Selbstironie. Das nur 43-sekündige Stückchen „Benimmunterricht (Der Arbeitgeberpräsident)“ aus Lichts ganz ganz großen „Liedern vom Ende des Kapitalismus“ (2006) kommt auf der CD überraschend-verwirrend und ohne direkten Nachklang daher. Live hingegen blitzt der Protest raus. Einer der wenigen Versuche von direkter Interaktion mit dem Publikum mündete darin, dass zwar niemand (ok, außer mir natürlich) den Text mitsingen mochte, aber immerhin durch vielmalige Wiederholung einer Arbeitgeberpräsidenten-Pressemitteilung entlarvender Kontext geschaffen werden konnte. Die Jugend wisse sich nicht mehr zu benehmen. Bringt sie an die Werkbänke, auf dass funktionierende Menschen daraus werden. Solch Protest ist freilich purer Rock’n’Roll, den PeterLicht dann auch mehrfach in ironisch gebrochenen Posen mimte. Und Fröhlichkeit und Wohlfühlatmosphäre stiftete: Da vorn steht einer, der will nur spielen.

Will er aber gar nicht. Der will viel mehr. Die alten Formen gehen aber nicht mehr. Kein wilder aber todernster Rock’n’Roll, keine Hannes-Wader-Kampfklampfe und auch keine Kunze-Lyrik.  Der emanzipierte Protestler in den Nullerjahren erkennt sich selbst als zentrales, sozusagen konstruierendes Element der Welt, gegen die er eigentlich protestieren will.

Also sind Selbstbefindlichkeit und Weltbefindlichkeit quasi das gleiche. Oder zumindest: Auf der gleichen Medaille beheimatet.  Und so kam auch live die einzigartige PeterLicht-Mixtur rüber: gewaltige Sprachwitzgewitter, purer Blödsinn, verträumte Reflexion und Sätze, die sich festkletten im Hirn und erst nach und nach ihr Gift freigeben.

Zu Beginn begegnete uns eine beinah besinnliche Band, die mit „Räume räumen“ und dem „Heimkehrerlied“ zwei der ruhigsten Stücke konzentriert und unaufgeregt aus dem Dunkel ins Dunkel fließen ließ. PeterLichts Marotte, das eigene Gesicht nicht dem unkontrollierbaren medialen Transportwesen überantworten zu wolle, schafft Spannung: Wann sieht man es endlich, das so Geheimnisumwobene? Und, um mit Bachman-Juror Klaus Nüchtern zu sprechen, der sich darüber freute, es im Gegensatz zum Fernsehzuschauer gesehenzu haben: „Es sieht unglaublich aus!“

Ein bisschen sorgten wir uns alle ja um die Spielfreude der Vier, die Stück für Stück herunterspulten, pausenlos, emotionslos und ohne das Publikum zu beachten. Die musikalische Qualität war am Anfang beachtlich, wie ja auch das neue Album an musikalischer Komplexität fraglos gewonnen hat. Die Distanz der melancholischeren Songs wich aber bald erkennbarem Spaß an der Sache, als es an die gesellschaftlicheren ging und vor allem die älteren. Erster Höhepunkt: Lesung von „viel hilft“ aus „Wir werden siegen! – Buch vom Ende des Kapitalismus“ (2006). Anschließend wurde es richtig launig. die „Transsylvanische Verwandte“, das „Lied gegen die Schwerkraft“ und der „Wolf im Fuzzipelz“ kamen live viel großartiger als von der CD und der „Safarinachmittag“ – einer meiner Lieblinge –  war pure Spielfreude mit einem tanzenden PeterLicht und strahlenden Augen im Publikum. Die mittlerweile nachgelassene musikalische Akkuratesse, vor allem beim Sänger, verzieh man da leicht. Oder eher noch: Unterstrich den leichten Charakter des Vortrags und war deshalb ja vielleicht sogar gewollt.

Zur ersten Zugabe las Peter einen Text über olympisches Wettentspannen. Und wir wünschten uns mehr Gelesenes. Wer die Klagenfurt-Lesung verpasst hat, findet bei YouTube noch unbedingt Nachholenswertes. Mehr Gelesenes gab’s aber nicht. Es fehlte schließlich auch noch das hymnische „Lied vom Ende des Kapitalismus“.

Es kam der Eindruck auf, dass nicht alle Zuschauer die Songs und Texte schon vorher in den Tabernakel ihres Herzens aufgenommen hatten und nicht ganz mitgekommen sind. Fröhlich waren sie trotzdem alle und applaudierten lautstark.

Ich fand’s grandios. Beim nächsten Mal: Die Stühle weglassen!

Und wir singen:
Bei-Bei-Bei-Bei-Beipflichten
Okay-hay-hay-hay finden
Bei-Bei-Bei-Bei-Beipflichten
Okay-hay-hay-hay finden

Super sagen
Super sagen
Unterwegs sind wir auch
Unterwegs im Zielgebiet
Und Beruf haben wir auch
Wir sind Endverbraucher

Minimalistische psychophysische Interferenzen im Hip-Hop

Hip-Hop und Minimal Music berühren sich nicht zum ersten Mal. Kein Wunder, denn Hip-Hop lebt vom repititiven „Wiederverwenden“ vorhandener Beats und Klangfragmente und die einstmals postavantgardistische Minimal Music hat die Popmusik heftig befruchtet, auch jenseits von Techno.

Ganz prominentes Beispiel aus dem deutschen Sprechgesang: Mellowbags & Freundeskreis‘ »Tabula Rasa« (1998), das vollständig mit Michael Nymans »Memorial« (1989) unterlegt ist. Genau, das mit gleitenden Kamerafahrten in barock-überfülltem, dekadent-marodem Ambiente assoziierte Stück aus dem Soundtrack zum grandiosen Greenaway-Streifen »The Cook, the Thief, his Wife and her Lover«. Die Interpretation als Todesmarsch offenbart sich erst in der Schluss-Szene (Vorsicht! Nichts für schwache Nerven.) Und zwar nachdem es, analog zur permanenten Vorwegnahme des kommenden Todes im chronisch unterschätzten »Drowning by Numbers« (1988, IMDB plot keywords: Mathematics | Vagina | Disturbing – Cricket Accidents & Sheep Oberservation fehlen!), den gesamten Film über immer wieder angeklungen ist.

In »Tabula Rasa« hören wir:

What ‚dem wann‘ do for stop(pin) you
Mephisto can’t strike we down
the rebel (will) come through
what ‚dem wann‘ do for stop you
when your’re under your meditation and look through
what ‚dem wann‘ do for stop you
Mephisto can’t strike we down
the rebel come through
what ‚dem wann‘ do for stop you
you could never ever [put] out the fire we are walk(ing) through

Das passt thematisch zu »The Cook,…«. Der Ausbruch Georgina Spicas (Helen Mirren), die der (verbrecherischen) Konvention ihres tyrannischen Mannes (The Thief) entflieht, eine Liaison Dangereux mit dem Lover wagt und letztendlich Genugtuung nur durch Überwindung der (moralischen) Konvention findet, indem sie den Cook dazu bringt, ihren getöten Lover dem Mörder, dem Thief zum Fraß vorzusetzen. Mephisto. Rebel. Fire we are walking through.

Nun lässt sich einwenden: »The Cook,…« ist nicht Minimal Music, höchstens Post-Post-Minimal und Nyman nicht wirklich für Hardcore-E-Musik bekannt. Schlechter Beleg für die Eingangsthese?

Also nehmen wir lieber ein unstrittiges Beispiel. Steve Reich, 1972. »Clapping Music«. Ein geniales und genial einfaches Stück Musik, instrumental reduziert auf ein Minimum: 2 klatschende Musiker. Auch der Score reduziert auf ein Minimum: 12 Achtelschläge, davon 4 Pausen. Ein simples Rhythmuspattern also.

Ein Stück wird daraus durch schrittweises Phasing: Der erste Musikant wiederholt das Pattern genau 184 mal. Der zweite „verschiebt“ das Pattern nach je 12 Wiederholungen um einen Achtelschlag. Am Anfang und am Ende sind beide Musiker synchron. Zwischendurch ergeben sich erstaunliche Interferenzen, die Wahrnehmung springt immer und immer wieder über, findet neue Muster, aber keinen Halt und kämpft hörend immer wieder mit dem drohenden Eindruck von Chaos. Aus sehr wenig musikalischem Material und einem simplen kompositorischen Muster emergiert Überraschendes. Minimal Music in ihrer transparentesten Form.

Und wo finden wir plötzlich Clapping Music wieder? Bei Peter Fox, Seeed-Rapper, der jüngst das definitiv sensationelle Solo-Album »Stadtaffe« präsentiert hat. Hier fällt zunächst die Hip-Hip-untypische Orchestrierung vom Babelsberger Filmorchester auf, die sich irgendwo zwischen Grieg und Hans Zimmer bewegt. Aber die Mixtur brodelt! Druckvolle Beats, treibende Riffs und – angesichts des oft herbeigeredeten Todes der Musikform „Album“ besonders erfreulich – textlich geschlossen als Konzeptalbum daherkommend. Es geht um den Primaten in dir, den die Zivilisation zu zähmen versucht. Der Versuch misslingt, der Stadtaffe ist geboren. Und dann taucht die Clapping Music auf: »Das zweite Gesicht«.

Bitte nochmal vergleichen: »Clapping Music« – »Das zweite Gesicht«.

Der größte Effekt der »Clapping Music«, die Selbstinterferenz, findet bei Fox musikalisch nicht statt. Dafür übernimmt nach dem Intro der Text:

Denn es steckt mit dir unter einer Haut
und du weißt, es will raus ans Licht
die Käfigtür geht langsam auf und da zeigt es sich:
Das zweite Gesicht

Ein Biest lebt in deinem Haus
du schließt es ein, es bricht aus
das gleiche Spiel jeden Tag
vom Laufstall bis ins Grab

Ein Biest lebt in deinem Haus
du schließt es ein, es bricht aus
es kommt durch jede Tür
es wohnt bei dir und bei mir

Du willst nach vorn, die anderen wollen zurück
du hast Visionen, doch sie kommen nicht mit
jemand steht zwischen dir und deinem Glück
und es macht dich rasend, du kannst es nicht ertragen

Zwei Seelen, wohnen, ach.. Und sie stören sich, interferieren, ergeben komplizierte Muster, das Chaos ist kaum zu bewältigen. Zwei Seelen? Mephisto? Chaos? Ausbrechen? Selbstinterferenz? Psychophysik!

Ich gerate außer Phase mit mir selbst und sehe und höre staunend dem Chaos zu. Hach, ist das schön: Michael Nyman und Steve Reich, vereint durch Hip-Hop.

P.S.: Scheiße.  Gerade sehe ich: Peter Fox‘ Konzert im Rosenhof am 28.11. ist schon ausverkauft. Hat noch wer ne Karte übrig?

Bit-Beats

Bill Baley

[youtube:http://youtube.com/watch?v=LKtxg1D7vZw]

Hervorragende Kraftwerk-Parodie!

DJ Scotch Egg

[youtube:http://youtube.com/watch?v=fWvo_EaMK8c]

Toller Gameboy-Sound mit reichlich Action!

Pornophonique

[youtube:http://youtube.com/watch?v=G8YvK4Nd108]

Immer wieder und immer noch großartig. Plz come to Osnabrück, Pornophonique! (Und immer noch: Album  frei und kostenlos zum Selbstrunterladen!)

Andere Länder, andere Namen

Morgen früh geht’s ab nach Riga. Heute wollt ich nochmal schauen, was es da abends vielleicht Spannendes zu sehen gibt. Und bin auf das hier gestoßen:

screenshot-4.png

Schön zu sehen, dass andere Länder viel weniger Hemmungen haben, Fremdlautendes auch orthographisch zu integrieren.

Leider bin ich dann schon wieder weg. Und 200 Lats latze ich für Hose Karreras bestimmt auch nicht.

Der nächste Krieg geht um Copyright

Blixa-Bargeld-Interviews sind oft sehr amüsant. Ein ganz aktuelles und ganz langes gibt es in der neuen ARD-Mediathek bei Hörbar Rust. Ne Menge interessanter Dinge dabei. Z.B. gibt Blixa zu, haufenweise Musik illegal herunterzuladen. „Die habe ich schon bezahlt“, sagt er und meint die eigenen CDs und Platten, die zu rippen zu umständlich wäre. In diesem Zusammenhang fiel auch der Satz aus der Überschrift.

Aber zurück zum Amüsanten: Sie reden über’s Chinesisch-Lernen und nach der Festestellung, dass die Grammatik gar nicht so schwer sei, folgt die Schrift:

Rust: Weihen Sie uns ein!

Blixa: Aber im Radio über Schriftzeichen zu erzählen, ist eh ein bisschen komisch.

Rust: Aber das ist doch toll, das ist Avantgarde.

Blixa: Nee, das ist nicht Avantgarde, das ist verfehltes Medium.

Rust: Ach so.

Noah und der Wal

In einer geschmackvollen Welt könnte das hier:

[youtube:http://youtube.com/watch?v=jRX5kH6IrkY]

ein prima Sommerhit werden.

Aber ich reg mich da gar nicht auf, über die Welt, sondern pfeife selbst.

Also: Noah and the Whale – Five years time!

Kaufen, Hören, Fröhlichsein. Tolle Sache. Mehr dazu z.B. hier, hier, hier und hier.

Eleganter Blödsinn Einstellung Mediaplayer Dialog

Früher war Winamp das Tool, um unter Windows Mp3s und andere Klangdateien abzuspielen. Heute gibt es ganz viele Mediaplayer und um sich überhaupt noch zu unterscheiden, haben sich alle bis an die Zähne mit gigantischen Featurearsenalen bewaffnet. Mein Ideal eines Mediaplayers ist ja immer noch der gute alte Plattenspieler, der auch so was wunderbar Haptisches hatte. Vor allem hatte er keine drölfmillionen Knöpfe und kam schon gar nicht auf die Idee, die Plattensammlung mit in seine Obhut nehmen zu müssen, damit ich leichter, schneller und besser suchen könne.

Zur Ordnung meiner Mp3-Sammlung nutze ich das Dateisystem. Da kann ich Ordner anlegen, die Dateien sinnvoll benennen und alles ist prima. Ein paar Mediaplayergimmicks hätte ich allerdings doch ganz gern. Z.B. automagisch hinzugesuchte Infos und Links aus dem Internet, sinnlose aber amüsante Statistikfunktionen und so weiter. Mit keinem der verbreiteten Player war ich so richtig zufrieden.

Foobar2000 ist wirklich toll, aber doch etwas spartanisch. iTunes ist bääh, denn ich verstehe das Ding einfach nicht. Außerdem übersehe ich vor lauter Gedöns immer die Play-, Pause- und Skip-Knöpfe. aTunes hat mir gefallen, weil es diese tolle Sicht auf meine Festplatte mitgebracht hat, die mir genau die Ordnung zugänglich macht, die ich mir selbst ausgedacht habe. Aber: Es stürzt unter Windows reproduzierbar ab und vergisst dann alles, was es je indiziert und gezählt hat. Den VLC media player nutze ich für Videos, für Musik ist mir die Playlistenverwaltung zu anstrengend.

Also habe ich mich nach Jahren der Abstinenz mal wieder Winamp zugewandt. Es ist ein Monster geworden! Außerdem träge und voller wirrer Spieloptionen. Das mussten auch die überforderten Übersetzer einsehen und lieferten konsequenterweise diesen Dialog ab:

neue_elegante_ansicht.jpg

Gemeint sind wahrscheinlich »Smart views« und für »smart« liefert leo immerhin ja auch »elegant« als ersten Übersetzungsvorschlag. Damit lassen sich – sehr flexibel und mittel boolscher Operatoren mächtig mächtig – eigene Sichten auf die Medienbibliothek definieren. Zum Beispiel: »Gib mir mit einem Klick alle Jazz-Stücke aus den Dreißigerjahren, die ich in den letzten 72 Stunden mehr als ein mal gehört habe.« Das kann mein Plattenspieler nicht. Aber bei dem sehe ich immerhin, welche Platten noch warm vom letzten Hören auf dem Stapel neben ihm liegen.

Vielleicht bin ich ja einfach nur altmodisch. Schließlich verstehe ich nichtmal Winamps Unterscheidung zwischen klassischem und modernem Scrollen:

modernes_scrollen.jpg

Demnächst wird es wohl wieder Foobar2000. Tolles Ding! Es spielt einfach Musik ab.

Portishead klingt wie (völlig unbekannten Rezensentenposerbandnamen einsetzen)

Absolut jedes Vorder- und Hinterwäldlerblogblättchen muss sich ja derzeit mit einer Portishead-Rezension schmücken. Aber wie soll sich da der anspruchsvolle Rezensent profilieren? Er kramt in seinem quasi unendlich großen musikhistorischen Wissensschatz und baut haufenweise »Song XY klingt wie…«-Aussagen in seinen Text ein. Kann der Leser zwar nicht so wirklich nachvollziehen, meistens, klingt aber nach großer Kompetenz.

Vier Beispiele rund um »We carry on« müssen reichen:

laut.de findet:

Bei „Small“ und auch bei „Threads“ sind sie vorwiegend Krautrock und klingen nach Amon Düül II oder Deep Purples „Child In Time“. Mit „We Carry On“ zollen sie ihren Tribut an Joy Divisions „She’s Lost Control“ […].

An anderer Stelle ebenfalls laut.de in einem Interview:

Und vielleicht auch deutsche Bands, wie Can? Auf „Third“ gibt es ein Stück, was sich sehr nach Einstürzende Neubauten anhört. „We Carry On“.

Noch besser weiß es aber Sebastian Reier im ZEIT-Tonträger-Blog unter dem Titel »Lass das Jammern, Eule«:

So originell wie behauptet wird, ist das alles nicht. Für das Stück We Carry On sollten sie Geld an die Silver Apples überweisen. Deren Stücke You And I und Oscillations aus den späten Sechzigern werden hier einfach kopiert.

Ein hoffentlich ironisch gemeintes Rezensions-Glanzstück liefert Peter Mühlbauer ab und meint:

[We carry on,] das klingt wie ein Mashup aus der EBM-Version eines Throbbing-Gristle-Stücks mit Beth Gibbons und Factory-Gitarre sowie Machine Gun, mit Beats wie der ganz frühe Schoolly D

Der gute alte Schoolly D. Wer hätte das gedacht?! Tolle Sachen, jedenfalls. Kann ich aber auch. Also:

»Magic doors« ist ganz definitv von »Elektrobank« der Chemical Brothers abgekupfert. Hört mal richtig hin!

Das Ende von »Machine Gun« markiert eine Synthie-Sequenz (ab 4:01), die von Kraftwerks »Neonlicht« »Metropolis« stammen könnte. Ja!

Und, mein »We carry on«-Beitrag: Das klingt doch ganz offensichtlich total wie ein Jitterbug aus den 1930ern! Natürlich ein ganz früher, authentischer Jitterbug, nicht diese verschwuchtelte Wham-Sache! Man denke z.B. nur mal an den kurzen Jitterbug aus dem »Mullholland Drive«-Intro. Also wirklich aber!

Und wer weiß, was mir noch alles auffällt. Übrigens: Tolle Platte. Meine Vorfreude hat sich gelohnt und ich finde: Muss man gehört haben.

Erwartungen an Legenden

Noch 10 Tage.

Das ist nicht lange, aber doch ein bisschen viel, um es so ganz gelassen abzuwarten. Zumal die Vorabkritiken sich schon überschlagen.

Doch zunächst einmal zurück in die Neunziger. Ich war schon zu Internet-Steinzeiten Abonnent einer Kraftwerk-Fan-Mailingliste, die eigentlich nichts anderes tat, als täglich darüber zu oraklen, ob denn das letzte, schon bald 10 Jahre zurückliegende Studioalbum, das seinerseits nur Material eines vier Jahre zuvor verworfenen Albums recyclet hat, endlich einen Nachfolger bekommt. Sowas schraubt Erwartungshaltungen in den Himmel. Letztendlich hat es fast 20 Jahre gedauert, bis das ersehnte Werk erschien, und die Reaktionen waren wohl nur deshalb so freundlich, weil man sich selbst ja auch nicht eingestehen will, Unrealistischem entgegengefiebert zu haben.

Aber um Kraftwerk geht es hier gar nicht. Sondern eine Band, die für mich Mitte der 90er die Popwelt ganz allein so ziemlich auf den Kopf gestellt hat. Portishead. Ich, der schon verdammt viel gehört hatte, war völlig überrascht, wie es möglich ist, so etwas Phantastisches, Eigenständiges und Entrücktes zu schaffen.

Und jetzt sind sie wieder da. Nach 10 Jahren. Und in 10 Tagen. Das, was bislang zu hören und zu lesen ist, klingt gut. Ich bin gespannt.

P.S.: Und auch wenn es ein bisschen peinlich ist, zu gestehen, dass ein Großteil meiner Entdeckungslust für neue Musik von der Spiegel-Online-Kolumne »Abgehört. Die wichtigsten CDs der Woche« gesteuert wird – wenn Jan Wigger wie bei Portisheads neuem Werk eine 10 vergibt, dann hat das in der Vergangenheit immer meinen Geschmack an ganz unerwarteten Stellen getroffen. Joanna Newsom z.B., oder jüngst Simone White.