First Impressions: Election Party and Roundtable Discussion

Wie hier und hier in den Uni-Blogs angekündigt, lud das Institut für Anglistik und Amerikanistik heute abend zur Wahlparty mit mehr oder minder akademischer Diskussion in die Stadtgalerie. Ob der angekündigte Beginn um 21.30 eher im Sinne einer Partyeinladung zu verstehen ist (also besser nicht vor 23 Uhr aufkreuzen) oder eher wie bei einem Votragsabend (also möglichst pünktlich sein), ist vorab nicht auszumachen. Also entscheide ich mich für das gute alte akademische Viertel und muss feststellen, dass in der bestens gefüllten Stadtgalerie Sitzplätze schon aus sind.

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Nach kurzer herzlicher Begrüßungsrunde geht’s schnell los mit der „round-table discussion“, der zwar ein runder Tisch, aber weder Laune noch rege Beteiligung des Publikums fehlen. Interessant: Unter den anwesenden Anglisten finden sich gleich mehrere offensichtlich erfolgreiche Debating-Club-Champions, die die Kunst perfekt beherrschen, die Grenzen zwischen Frage, flammender Rede und Filibuster zerfließen zu lassen. Entflammend aber auch das Podium: Meinung und Entertainment wohlausgewogen, viel Sachverstand und Persönliches bei den fünf spätestens nach dieser Runde ausgewiesenen Experten.

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Zur Sache: Die Sympathien bei Publikum und Podium sind klar auf einen der beiden Kandidaten vereint, höchstens schwingt die Befürchtung mit, dass zu viel Sicherheit der eigenen Anhänger Obama noch den Sieg kosten könne. Keine hitzigen Diskussionen also zwischen Parteilagern. Der trotzdem muntere Schlagabtausch lässt aber gar nicht erst das bleierne Gefühl einer inszeniert herablassenden Podiumsdiskussion aufkommen, sondern bringt spannende Gespräche auf Augenhöhe. Ein Eindruck, den das neu aufgestellte Insitut für Anglistik und Amerikanistik mit seiner engagierten Studierendenschar in letzter Zeit überraschend und erfreulich häufig aufkommen lässt. Es überwiegen Schilderungen persönlicher Eindrücke, die aber immer zu den großen Fragen zurück führen: Wie füllen die USA ihre Vorbildrolle („for good or for worse“), ihre Supermachtrolle politisch und kulturell aus?

Entsprechend dann auch die aus meiner Sicht spannendste Frage von Peter Schneck: Haben wir in den letzten Wochen und Monaten eine ganz neue Form einer Campaign („Wahlkampf“ trifft es wohl nicht ganz) gesehen? Führen die massiv genutzten und massiv wirkenden Web-2.0-Communities (Blogs, YouTube, Facebook werden genannt) zu einer Globalisierung der US-amerikanischen Präsidentenwahl? Von deutschen Studierenden, die für Obama gespendet haben, ist die Rede; von der Niederlage Hillarys, die verloren habe, als sie Obama-Anhänger als „they’re just facebook“ abzukanzeln versuchte. „Country first“ als Maxime der Supermacht-Präsidentenwahl ade? So ganz will das Podium der Provokation nicht folgen, aber deutlich wird: Internet-Öffentlichkeit matters. Und zwar allein, weil sie (oberflächlich betrachtet?) ungesteuert und partizipativ funktioniere – eben das, was mit „Web 2.0“ beschlagwortet wird. Das wohl schon jetzt legendär zu nennende Yes-We-Can-Video ist da nur eine Spitze des Eisbergs, die jeweils sofort ausgewälzten (vermeintlichen) Fehltritte und Peinlichkeiten aller Beteiligten eine andere, vielleicht auch das Obama-Girl – und das über 15 Millionen mal personalisierte Video („deine fehlende Stimme ist schuld, dass Obama nicht gewählt wurde“) wohl die innovativste.

Ich finde die Frage höchst spannend: Was könnte mich als Bundesrepublikaner dazu bewegen, für einen amerikanischen Präsidentschaftskandidaten zu spenden? Die genannten Pro-Argumente: Von den Konsequenzen dieser Wahl bin auch ich betroffen. Mitwählen kann ich nicht, aber offensichtlich auf andere Weise Einfluss nehmen: Geld spenden (was selbstverständlich außerordentlich viele wahlethische Fragen aufwirft, aber in der medialen Beurteilung der Obama-Spendenflut spielte neben der exorbitanten Summe auch immer eine Rolle: Es waren sehr viele kleine private Spenden), You-Tube-Videos produzieren, Facebook-Propaganda betreiben, relevant bloggen. Was heißt das für das Gesamtkonzept Demokratie? Was heißt das für uns als Deutsche und für zukünftige deutsche „Campaigns“? Oder ist das ganze Internet-Bohei letztendlich doch irrelevant? Die Diskussion ist sicher noch nicht abgeschlossen.

Um 11 ein Break bis die ersten Resulate einlaufen würden. Überall wird angeregt diskutiert, aber ich muss kurz darauf leider gehen: Der heutige Vortrag bereitet sich nicht von allein vor.

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Vielen Dank an die Organisatoren für tolles Flair, vielen Dank an das Institut für Anglistik und Amerikanistik, dafür, aus dem Event ein öffentliches zu machen. Der heutige Abend ist ein hervorragendes Beispiel und Vorbild für ein Fach, das sich öffnet, eine Universität, die sich selbst nicht fremd wird und die die Öffentlichkeit nicht nur nicht aussperrt, sondern geradezu sucht. Ähnliches ist in den öffentlichen Seminarblogs gerade hier, hier, hier und hier zu beobachten.

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Menschen sitzen gerne hinten

Der gemeine Dozent beklagt sich ja gern darüber, dass die allzu zaghaft-schüchternen Studierenden sich vorzugsweise Sitz- oder gar Stehplätze weit hinten im Hörsaal suchen. Selbst dann, wenn vorne noch viele Plätze mit ganz besonders hohem Aufmerksamkeits- und natürlich auch Lernwert vorhanden sind.

Beim Sichten der fast veröffentlichungsbereiten Logos-Aufzeichnungen habe ich dann aber dieses Bild entdeckt:

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Im eigentlich gar nicht so schlecht gefüllten Auditorium saßen lauter E-Learning-Wissenschaftler, Hochschullehrende und andere Experten für Lehren und Lernen. Aber doch bitte nicht vorne! Die taktisch einzig richtige Reaktion der Referentin: Aufrücken, näher ran an die Zielgruppe. Beinah könnte man meinen, die ersten drei Reihen in Hörsälen und schlimmer noch: Seminarräumen könnten eingespart werden. Hat jemand wirklich gute Verwendungs- und Verbesserungsvorschläge? (Dann bitte beim DINI-Studenten-Wettbewerb „Lebendige Lernorte“ mitmachen und 5000€ gewinnen!)

Zudem ist bei Konferenzen ein ständiges Kommen und Gehen während der Vorträge eher die Regel als die Ausnahme. Und wer später hinzugekommen ist, fragt in der Diskussion fast selbstverständlich: „Ich habe den Anfang nicht mitbekommen. Können Sie das nochmal zusammenfassen?“ Studierenden wird soviel Beliebigkeit und unhöfliche Missachtung der Vortragenden üblicherweise nicht zugebilligt. Wird da etwa mit zweierlei Maß gemessen? Oder kann man das einfach nicht vergleichen? Oder ist meine Wahrnehmung verzerrt?

Bliebe abschließend nur noch die syllogistische Feststellung:

1. Menschen sitzen gerne hinten.

2. Dozenten sind Menschen.

Daraus folgt:

3. Auch Dozenten sitzen gerne hinten.

PechaKuchaNight Osnabrück #1: Programm veröffentlicht

Ihr wisst schon: 11. November, 20.20 Uhr in der Lagerhalle. Pecha Kucha. Eintritt frei. Pflichttermin!

Jetzt ist auch das Programm öffentlich:

Ziel von PechaKucha: Das verborgene kreative Potenzial einer Stadt offenlegen. Mit den Vortragstiteln allein gelingt das bislang wohl nur zum Teil. Bei den meisten weiß ich aber schon, was dahintersteckt und bin sowohl sicher, dass –  als auch flitzebogenartig gespannt, wie es ankommen wird. Zu meinem Beitrag nur schonmal so viel: Der Titel ist vollkommen wörtlich zu verstehen.

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Inzwischen sind wir auch auf der offiziellen Pecha-Kucha-Seite ordnungsgemäß eingetragen.

Hochschulen der Welt (1)

Damit steht es Theleprompt vs. Rest-der-Welt 3:0“ musste Silencer137 heute nach der dritten Runde seines Bahnhofs-Rästels konstatieren. Mit Basel Bad.Bhf., Stuttgart Hbf. und Hamburg Hbf. waren die bisherigen Runden aber auch keine wirklichen Herausforderungen für den Vieldienstreisenden. Ich warte also gelassen, ob der Rest der Welt in den weiteren Runden wird aufholen können.

Unterdessen kopiere ich die Idee schamlos und starte auch ein Bilderrätsel. Aber nicht mit Bahnhöfen, sondern Hochschulen. Sind ja schließlich die Uniblogs hier.

Also. Wer weiß, welche Hochschule hier im Bild zu sehen ist:

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Für diejenigen, die’s nicht gleich erkennen, vielleicht schonmal ein kleiner Hinweis: In der Nähe dieses Gebäudes befindet sich ein See.

Wetterneid

Aus reiner Höflichkeit und sprachlicher Konvention nennt man das, was in Osnabrück gerade außerhalb schützender Behausungen passiert, noch „Wetter“. Verdient hat es das nicht.

Mein neuer Dienstlaptop, den ich noch nicht richtig entrümpeln konnte, kam mit allerlei vorinstalliertem Schnickschnack daher, so auch einem Google-Wetter-Widget. Darauf schiele ich jetzt immer neidisch, denn ich habe „Reykjavik“  eingestellt.

Aktuell ist das Wetter in Reykjavik mit 6°, Dunkelheit und Regen exakt wie in Osnabrück. Der feine, kleine Unterschied: In Reykjavik gehört sich das so.

Was Leute am neunundzwanzigsten Oktober Zweitausendundacht lernen müssen

Ich muss viel lernen
Ich muss wieder lernen
Ich muss orientalischer denken lernen
Ich muss Latein lernen
Ich muss erstmal lernen, den Menschen zu vertrauen
Ich muss unbedingt Englisch lernen
Ich muss in Mathe mehr lernen
Ich muss alles auswendig lernen
Ich muss einfach lernen mich autonom zu betrachten
Ich muss erst lernen, wie ich Freunde in ihm finde
Ich muss Physik lernen
Ich muss Vokabeln lernen
Ich muss ihn kennen lernen
Ich muss Symphonien komponieren lernen
Ich muss jetzt lernen als Einarmiger zu leben
Ich muss soviel lernen und kann nicht mehr mit Freunden zusammen sein
Ich muss es lernen, zu welcher Zeit Leute Spaß machen
Ich muss furchtbar viel lernen

Quelle: Google-Suche nach „ich muss * lernen“

Unsere kleine Farm

Die Uniblogs – also der Blog-Server, der Euch gerade diesen Beitrag liefert – sind von der Idee her ungefähr ein Jahr alt. So richtig los ging es Anfang 2008 und mittlerweile entwickelt sich unsere kleine Blogfarm zu einem faszinierenden Kommunikationsmedium innerhalb der Hochschule und darüber hinaus. Längst lässt sich die Zahl der besonders spannenden Blogs nicht mehr an zwei Händen abzählen. Heute ist zudem der Blogwettbewerb für Erstsemester gestartet und wir erhoffen uns viele spannende Beiträge.

Was wir – oder eher: Ihr! – mit unserer Blogfarm anstellt, interessiert auch andere Hochschulen. Kristine, Tim und ich durften für das e-teaching.org-Themenspecial „Web 2.0 in der Lehre“ einen  Praxisbericht verfassen. Hier die Ankündigung:

Ein eigenes Blog auf dem Hochschul-Server für alle Angehörigen einer Hochschule? Mit diesem Service für Lehrende, Studierende und Verwaltungsmitarbeiter hat die Universität Osnabrück sehr positive Erfahrungen gemacht.

Das Zentrum für Informationsmanagement und virtuelle Lehre – virtUOS – ist eine zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Universität Osnabrück. Sie gehört nicht zu einem einzelnen Fachbereich oder zu einer bestimmten Einrichtung, sondern wendet sich an alle gleichermaßen. Ihre unterschiedlichen innovativen Dienstleistungen sind richten sich auf den Einsatz von EDV, Internet und Multimedia, der nicht nur aus technischer Perspektive betrachtet wird, sondern wissenschaftlich eingebunden ist und Informationsmanagement, virtuelle Lehre und Medienkompetenz verbindet.

Zu den zahlreichen Angeboten, Aktivitäten und Projekten gehört seit Herbst 2007 auch eine „Blogfarm“: Alle Angehörigen der Universität können sich auf dem Uni-Server unkompliziert ein eigenes Blog einrichten lassen – und dort alles bloggen, was sie wollen … In der Auswertung der bisherigen Erfahrungen zieht das virtUOS-Team eine außerordentlich positive Bilanz, die Kristine Greßhöner, Tim Schmidt und Tobias Thelen für e-teaching.org zusammengefasst haben.

Den ganzen Text gibt es hier zu lesen.

PeterLicht live: Super sagen!

PeterLicht in der Lagerhalle, Osnabrück, 26.10.2008

Der gute alte Heinz-Rudolf Kunze, Gott hab ihn selig, der sich selbst noch  als Liedermacher und Weltverbesserer verstand, hat mit seinem 1984er Live-Album „Die Städte sehen aus wie schlafende Hunde“ eine grandiose Form des Konzertes aus gesungenen und gesprochenen Texten dokumentiert. Das war bevor er glaubte, Rockstar zu sein, albern wurde und Osnabrück den Rücken kehrte, um im weltstädtischen Hannover zu residieren. Das fügt sich hervorragend zu meiner ausgeprägten Hannover-Aversion. Oder ist das umgekehrt?

Die „schlafenden Hunde“ jedenfalls schaffen eine spannungsvolle Balance aus Gesungenem und Gesprochen, die die späteren „literarischen Programme“ nicht mehr aufzubieten vermochten. Damals klang Protest noch nach Brokdorf und Che und war eine todernste Sache. Wobei Kunze immerhin letzteres sympathisch aufzuweichen wusste. Ein schönes Beispiel sind seine „Variationen über einen Satz des Bundesinnenministers aus dem Monat Juli des Jahres 1983„.

Und damit sind wir endlich bei PeterLicht, der heute abend die Lagerhalle rockte. Nun gut. Nicht direkt rockte. Man sollte eher sagen: mittel rockte. Vielleicht auch nicht direkt mittel. Eher so am unteren Ende von Rocken und am oberen Ende von auf Stühlen enthusiasmieren. Ja, tatsächlich. Ein Sitzkonzert. Es stand ja schließlich auch „freie Platzwahl“ auf der Karte.

Statt lyrisch gewandeter, scharfzüngig und aufrichtig entrüsteteter Polemik, wie sie 1984 en vogue war, setzt der heutige Protestsänger auf Selbstironie. Das nur 43-sekündige Stückchen „Benimmunterricht (Der Arbeitgeberpräsident)“ aus Lichts ganz ganz großen „Liedern vom Ende des Kapitalismus“ (2006) kommt auf der CD überraschend-verwirrend und ohne direkten Nachklang daher. Live hingegen blitzt der Protest raus. Einer der wenigen Versuche von direkter Interaktion mit dem Publikum mündete darin, dass zwar niemand (ok, außer mir natürlich) den Text mitsingen mochte, aber immerhin durch vielmalige Wiederholung einer Arbeitgeberpräsidenten-Pressemitteilung entlarvender Kontext geschaffen werden konnte. Die Jugend wisse sich nicht mehr zu benehmen. Bringt sie an die Werkbänke, auf dass funktionierende Menschen daraus werden. Solch Protest ist freilich purer Rock’n’Roll, den PeterLicht dann auch mehrfach in ironisch gebrochenen Posen mimte. Und Fröhlichkeit und Wohlfühlatmosphäre stiftete: Da vorn steht einer, der will nur spielen.

Will er aber gar nicht. Der will viel mehr. Die alten Formen gehen aber nicht mehr. Kein wilder aber todernster Rock’n’Roll, keine Hannes-Wader-Kampfklampfe und auch keine Kunze-Lyrik.  Der emanzipierte Protestler in den Nullerjahren erkennt sich selbst als zentrales, sozusagen konstruierendes Element der Welt, gegen die er eigentlich protestieren will.

Also sind Selbstbefindlichkeit und Weltbefindlichkeit quasi das gleiche. Oder zumindest: Auf der gleichen Medaille beheimatet.  Und so kam auch live die einzigartige PeterLicht-Mixtur rüber: gewaltige Sprachwitzgewitter, purer Blödsinn, verträumte Reflexion und Sätze, die sich festkletten im Hirn und erst nach und nach ihr Gift freigeben.

Zu Beginn begegnete uns eine beinah besinnliche Band, die mit „Räume räumen“ und dem „Heimkehrerlied“ zwei der ruhigsten Stücke konzentriert und unaufgeregt aus dem Dunkel ins Dunkel fließen ließ. PeterLichts Marotte, das eigene Gesicht nicht dem unkontrollierbaren medialen Transportwesen überantworten zu wolle, schafft Spannung: Wann sieht man es endlich, das so Geheimnisumwobene? Und, um mit Bachman-Juror Klaus Nüchtern zu sprechen, der sich darüber freute, es im Gegensatz zum Fernsehzuschauer gesehenzu haben: „Es sieht unglaublich aus!“

Ein bisschen sorgten wir uns alle ja um die Spielfreude der Vier, die Stück für Stück herunterspulten, pausenlos, emotionslos und ohne das Publikum zu beachten. Die musikalische Qualität war am Anfang beachtlich, wie ja auch das neue Album an musikalischer Komplexität fraglos gewonnen hat. Die Distanz der melancholischeren Songs wich aber bald erkennbarem Spaß an der Sache, als es an die gesellschaftlicheren ging und vor allem die älteren. Erster Höhepunkt: Lesung von „viel hilft“ aus „Wir werden siegen! – Buch vom Ende des Kapitalismus“ (2006). Anschließend wurde es richtig launig. die „Transsylvanische Verwandte“, das „Lied gegen die Schwerkraft“ und der „Wolf im Fuzzipelz“ kamen live viel großartiger als von der CD und der „Safarinachmittag“ – einer meiner Lieblinge –  war pure Spielfreude mit einem tanzenden PeterLicht und strahlenden Augen im Publikum. Die mittlerweile nachgelassene musikalische Akkuratesse, vor allem beim Sänger, verzieh man da leicht. Oder eher noch: Unterstrich den leichten Charakter des Vortrags und war deshalb ja vielleicht sogar gewollt.

Zur ersten Zugabe las Peter einen Text über olympisches Wettentspannen. Und wir wünschten uns mehr Gelesenes. Wer die Klagenfurt-Lesung verpasst hat, findet bei YouTube noch unbedingt Nachholenswertes. Mehr Gelesenes gab’s aber nicht. Es fehlte schließlich auch noch das hymnische „Lied vom Ende des Kapitalismus“.

Es kam der Eindruck auf, dass nicht alle Zuschauer die Songs und Texte schon vorher in den Tabernakel ihres Herzens aufgenommen hatten und nicht ganz mitgekommen sind. Fröhlich waren sie trotzdem alle und applaudierten lautstark.

Ich fand’s grandios. Beim nächsten Mal: Die Stühle weglassen!

Und wir singen:
Bei-Bei-Bei-Bei-Beipflichten
Okay-hay-hay-hay finden
Bei-Bei-Bei-Bei-Beipflichten
Okay-hay-hay-hay finden

Super sagen
Super sagen
Unterwegs sind wir auch
Unterwegs im Zielgebiet
Und Beruf haben wir auch
Wir sind Endverbraucher

Minimalistische psychophysische Interferenzen im Hip-Hop

Hip-Hop und Minimal Music berühren sich nicht zum ersten Mal. Kein Wunder, denn Hip-Hop lebt vom repititiven „Wiederverwenden“ vorhandener Beats und Klangfragmente und die einstmals postavantgardistische Minimal Music hat die Popmusik heftig befruchtet, auch jenseits von Techno.

Ganz prominentes Beispiel aus dem deutschen Sprechgesang: Mellowbags & Freundeskreis‘ »Tabula Rasa« (1998), das vollständig mit Michael Nymans »Memorial« (1989) unterlegt ist. Genau, das mit gleitenden Kamerafahrten in barock-überfülltem, dekadent-marodem Ambiente assoziierte Stück aus dem Soundtrack zum grandiosen Greenaway-Streifen »The Cook, the Thief, his Wife and her Lover«. Die Interpretation als Todesmarsch offenbart sich erst in der Schluss-Szene (Vorsicht! Nichts für schwache Nerven.) Und zwar nachdem es, analog zur permanenten Vorwegnahme des kommenden Todes im chronisch unterschätzten »Drowning by Numbers« (1988, IMDB plot keywords: Mathematics | Vagina | Disturbing – Cricket Accidents & Sheep Oberservation fehlen!), den gesamten Film über immer wieder angeklungen ist.

In »Tabula Rasa« hören wir:

What ‚dem wann‘ do for stop(pin) you
Mephisto can’t strike we down
the rebel (will) come through
what ‚dem wann‘ do for stop you
when your’re under your meditation and look through
what ‚dem wann‘ do for stop you
Mephisto can’t strike we down
the rebel come through
what ‚dem wann‘ do for stop you
you could never ever [put] out the fire we are walk(ing) through

Das passt thematisch zu »The Cook,…«. Der Ausbruch Georgina Spicas (Helen Mirren), die der (verbrecherischen) Konvention ihres tyrannischen Mannes (The Thief) entflieht, eine Liaison Dangereux mit dem Lover wagt und letztendlich Genugtuung nur durch Überwindung der (moralischen) Konvention findet, indem sie den Cook dazu bringt, ihren getöten Lover dem Mörder, dem Thief zum Fraß vorzusetzen. Mephisto. Rebel. Fire we are walking through.

Nun lässt sich einwenden: »The Cook,…« ist nicht Minimal Music, höchstens Post-Post-Minimal und Nyman nicht wirklich für Hardcore-E-Musik bekannt. Schlechter Beleg für die Eingangsthese?

Also nehmen wir lieber ein unstrittiges Beispiel. Steve Reich, 1972. »Clapping Music«. Ein geniales und genial einfaches Stück Musik, instrumental reduziert auf ein Minimum: 2 klatschende Musiker. Auch der Score reduziert auf ein Minimum: 12 Achtelschläge, davon 4 Pausen. Ein simples Rhythmuspattern also.

Ein Stück wird daraus durch schrittweises Phasing: Der erste Musikant wiederholt das Pattern genau 184 mal. Der zweite „verschiebt“ das Pattern nach je 12 Wiederholungen um einen Achtelschlag. Am Anfang und am Ende sind beide Musiker synchron. Zwischendurch ergeben sich erstaunliche Interferenzen, die Wahrnehmung springt immer und immer wieder über, findet neue Muster, aber keinen Halt und kämpft hörend immer wieder mit dem drohenden Eindruck von Chaos. Aus sehr wenig musikalischem Material und einem simplen kompositorischen Muster emergiert Überraschendes. Minimal Music in ihrer transparentesten Form.

Und wo finden wir plötzlich Clapping Music wieder? Bei Peter Fox, Seeed-Rapper, der jüngst das definitiv sensationelle Solo-Album »Stadtaffe« präsentiert hat. Hier fällt zunächst die Hip-Hip-untypische Orchestrierung vom Babelsberger Filmorchester auf, die sich irgendwo zwischen Grieg und Hans Zimmer bewegt. Aber die Mixtur brodelt! Druckvolle Beats, treibende Riffs und – angesichts des oft herbeigeredeten Todes der Musikform „Album“ besonders erfreulich – textlich geschlossen als Konzeptalbum daherkommend. Es geht um den Primaten in dir, den die Zivilisation zu zähmen versucht. Der Versuch misslingt, der Stadtaffe ist geboren. Und dann taucht die Clapping Music auf: »Das zweite Gesicht«.

Bitte nochmal vergleichen: »Clapping Music« – »Das zweite Gesicht«.

Der größte Effekt der »Clapping Music«, die Selbstinterferenz, findet bei Fox musikalisch nicht statt. Dafür übernimmt nach dem Intro der Text:

Denn es steckt mit dir unter einer Haut
und du weißt, es will raus ans Licht
die Käfigtür geht langsam auf und da zeigt es sich:
Das zweite Gesicht

Ein Biest lebt in deinem Haus
du schließt es ein, es bricht aus
das gleiche Spiel jeden Tag
vom Laufstall bis ins Grab

Ein Biest lebt in deinem Haus
du schließt es ein, es bricht aus
es kommt durch jede Tür
es wohnt bei dir und bei mir

Du willst nach vorn, die anderen wollen zurück
du hast Visionen, doch sie kommen nicht mit
jemand steht zwischen dir und deinem Glück
und es macht dich rasend, du kannst es nicht ertragen

Zwei Seelen, wohnen, ach.. Und sie stören sich, interferieren, ergeben komplizierte Muster, das Chaos ist kaum zu bewältigen. Zwei Seelen? Mephisto? Chaos? Ausbrechen? Selbstinterferenz? Psychophysik!

Ich gerate außer Phase mit mir selbst und sehe und höre staunend dem Chaos zu. Hach, ist das schön: Michael Nyman und Steve Reich, vereint durch Hip-Hop.

P.S.: Scheiße.  Gerade sehe ich: Peter Fox‘ Konzert im Rosenhof am 28.11. ist schon ausverkauft. Hat noch wer ne Karte übrig?