Viel schlimmer noch als alles Fahnezeigen, Wimpelschwenken und public-viewing-selige Fremdenknuddeln sind Autokorsi.
Bei Goethe heißt es dazu: …fahren die Kutschen nach und nach in den Korso hinein, in derselben Ordnung, wie wir sie oben beschrieben haben, als von der sonn- und festtägigen Spazierfahrt die Rede war, nur mit dem Unterschied, daß gegenwärtig die Fuhrwerke, die vom venezianischen Palast an der linken Seite herunterfahren, da, wo die Straße des Korso aufhört, wenden und sogleich an der andern Seite wieder herauffahren….
Ich wohne in der Innenstadt, an einer kleinen und eigentlich recht ruhigen Nebenstraße, die aber leider Neumarkt und südliche Stadtausfahrt unter Umgehung des nur für Busse freigegebenen Teils der Johannisstraße auf dem kürzesten Wege verbindet. Gern staut sich nachmittags vor meiner Haustür der Verkehr. Oder auch spätabends, weil mindestens die Hälfte aller spontan begeisterten Autokorsisti hier zum Stehen kommen und hemmungslos herumhupen – dummerweise in beide Richtungen! Da merkt man wenigstens, dass Osnabrück eine sehr internationale Arbeiterstadt ist. Besonders zu erwähnen sind da die vielen portugiesischen und spanischen Mitbürger, ehemals als Gastarbeiter bei Karmann angeworben (und berühmt geworden durch den Streik im Jahre 1973, um 5 Wochen zusammenhängenden Urlaub zu erreichen).
Gerade jetzt sind die Fans der türkischen Nationalmannschaft an der Reihe. Sehr ausdauernd, wie ich anmerken muss. Das veranlasst mich, eine kleine Zwischenbilanz zu ziehen. Wessen Mannschaft bekommt die lautesten, längsten und innovativsten Autokorsi? Berücksichtigt werden konnten natürlich nur bislang siegreiche Mannschaften – besonders der Korso der Schweizer hätte mich schon interessiert.
7. Niederlande und Schweden. Kein Autokorso in Osnabrück. Ist das Furcht? Gibt es hier keine Niederländer oder Schweden? Auch kein Fahrradkorso oder Weihnachtsbaumgewerfe.
6. Tschechien. Keine nennenswerten Korso-Aktivitäten. Weil’s das Auftaktspiel war, ist mir das aber kaum aufgefallen.
5. Kroatien. Man könnte es höflich nennen. Bemerkbar, aber nicht aufdringlich. Vielleicht waren es auch nur zu wenige.
4. Spanien. Hätte mehr sein können. Sieger auf der Enttäuschungsskala. 4:1 wäre doch wahrlich ein Grund gewesen, oder?
3. Deutschland. Bislang noch verhalten. Gab aber ja erst ein Spiel. Ordentlich gestartet, aber noch viel Steigerungspotenzial.
2. Türkei. Sehr ausdauernd. Oft mit musikalischer Unterstützung und vielen weiblichen Jubelschreien. Langanhaltende, kaum abflachende Korsointensität direkt nach Spielende. Eine knappe Stunde nach Abpfiff steigt der Schalldruck heute immer noch an. Ich kann mehrere Dutzend Hupen parallel problemlos auseinanderhalten.
1. Portugal. Die lautesten. Nicht die ausdauerndsten, aber die heftigsten. Ich bin überzeugt, dass viele Autohupen extra vorher aufgerüstet wurden. Der Portugiesen-Korso-Tsunami vor meinem Arbeitszimmer sollte als neue Norm für schallschluckende Fensterisolierungen verwendet werden. Dann gibt es nie wieder Ärger mit Fluglärm und die Fensterdichtungsindustrie hat für die nächsten Jahrzehnte ausgesorgt.
Seien wir gespannt, wie es weitergeht. Ich erwarte mir noch einiges von Italien, Polen oder Griechenland. Gespannt wäre ich auf Österreich, San Marino, Russland oder die Färöer. Der Vatikan war ja kürzlich schon da.
2 Antworten auf „EM der Autokorsi vor meiner Haustür“