Abends schreddert man den Mercedes

So ungefähr genau heute vor 15 Jahren habe ich meine erste E-Mail geschrieben. Von unix05 (das war ich) an unix07, im Unix-Kurs eine Woche vor Beginn meines Studiums; und ich fand es zugleich exotisch, aufregend und – ein wenig nutzlos. Denn unix07 saß mit mir im gleichen Raum, aber ich wusste gar nicht, wer unix07 ist und außer unix01 bis unix12 kannte ich niemanden, der eine E-Mail-Adresse besitzt. Also fiel der Inhalt der hin und her gehenden Mails nicht besonders sinnreich aus. Aber: Es funktionierte und für den technisch Begeisterten kann das schon mehr als zufriedenstellend sein. Hätte ich voraussehen können, dass nur eine halbe Generation später das Medium E-Mail genauso selbstverständlich sein wird wie damals Brief oder Telephon? Dass etwas namens Internet langsam aber sicher dem Fernsehen, dem Radio und dem Einkaufsbummel den Rang abläuft? Dass die Leute mit ihren Telephonen photographieren?

Die Futurologie ist eine Disziplin, die in der Vergangenheit wenig Fortune bewiesen hat. Zur Jahrtausendwende haben wir uns alle amüsiert über alte Entwürfe des Lebens im Jahr 2000, die meist auch kaum eine Generation alt waren. Wie also werden sich Gesellschaft und Technologie weiterentwickeln? Wie sieht unser Alltag in 10, 20, 50 Jahren aus? Der Telepolis-Band »what if? Zukunftsbilder der Informationsgesellschaft« traut sich, diese Frage in 25 Beiträgen aufzugreifen. Ein gelungenes Buch, wie ich finde, auch wenn (oder gerade weil) die Beiträge in Anspruch, Wissenschaftlichkeit und Zielrichtung sehr weit auseinander gehen.

Sicherlich werden alle konkreten Vorhersagen (der Band enthält allerdings auch viele grundlegendere Texte) irgendwie danebenliegen und in 10 Jahren werden einige Beiträge höchstens belustigend wirken. Aber sie sagen dann auch mehr über unser Jetzt im Jahre 2007 aus, als über unser Morgen. Vielleicht ist das ohnehin der Zweck der Futurologie: Der Geschichtsschreibung von Morgen etwas zu hinterlassen, das verdeutlicht, welche Ziele, Ängste und Hoffnungen wir hatten.

Bernhard Frankens Beitrag »youProd – vom Rapid Prototyping zur Rapid Production« dreht sich um die Frage, inwiefern billig verfügbare 3D-Drucker unseren Alltag durcheinanderwirbeln könnten – und ein Portal wie youTube zum Austausch von Druckvorlagen für Alltagsgegenstände avanciert. Gestolpert bin ich darin über einen erschreckend denkbaren wie fernen Abschnitt:

Morgens braucht man eine Kaffeetasse, also druckt man eine aus. Nachmittags braucht man ein Spielzeugauto zum Spielen mit dem Sohn, also schreddert man die Kaffeetasse zu Granulat, druckt sich einen Spielzeugmercedes im Maßstab 1:87 und legt los. Abends fehlt die Zahnbürste, also schreddert man den Mercedes und druckt sich eine Zahnbürste aus.

Kann ich mir in der Zukunft jeden gewünschten Gegenstand einfach selbst ausdrucken? Oder den Teller und die Designervase vom Nachbarn einfach kopieren? Unsinn? Uninteressant? Reine Science Fiction? Weshalb würde jemand mit einem Telephon photographieren wollen??

Eine Antwort auf „Abends schreddert man den Mercedes“

  1. Jetzt verstehe ich, warum für dich auch ein trüber Tag von innen leuchtet.
    Interessante These, was Du da entwickelst.
    Mit einem Telephon vielleicht für Beweiszwecke photographieren, schön wäre auch, eine Einschreibeart bei der Post zu entwickeln :“Foto bei Übergabe“ und dann so diese überraschten Gesichter zu sehen. 😮 oder 🙂 oder mit Lockenwicklern und Hasipantoffeln.
    Wenn wir Sonnenlicht demnächst beamen können, dann können wir sicher auch die Vase oder das schicke Outfit von Kollegen scannen, ausdrucken, anziehen/ aufstellen. 🙂 😉 GLG Svenja

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